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Das Boot sinkt schneller als wir denken – Kommentar von Jens Leveringhaus

Jens Leveringhaus, Vorstandsvorsitzender der P.E.G. Einkaufs- und Betriebsgenossenschaft eG, wünscht sich einen „Schulterschluss von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“, damit es gelingt, das Gesundheitswesen in den nächsten Jahren klimaneutral zu stellen.

Jens Leveringhaus, Vorstandsvorsitzender der P.E.G. Einkaufs- und Betriebsgenossenschaft eG

Zynisch betrachtet ist Corona schlecht für die Menschheit aber gut für die Umwelt. Das öffentliche Leben droht erneut in weiten Teilen still zu stehen; steigende Inzidenzwerte und die damit einhergehenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens führen aber zeitgleich zu sinkenden Treibhausgas-Emissionen – laut einer Einschätzung von Roland Berger für das Jahr 2020 um geschätzte 8 Prozent gegenüber 2019. Einen ebenso hohen Rückgang müsste die Menschheit von nun an bis 2030 jedes Jahr erreichen, um zu verhindern, dass die globalen Temperaturen um mehr als 1,5 Grad Celsius ansteigen. Doch um bei dem Begriff der Menschheit zu bleiben, will diese sicherlich beides nicht – weder die Folgen von Corona noch die des Klimawandels. Diese Aussage trifft auf das Gesundheitswesen wohl noch stärker zu, das die Folgen von Covid-19 am intensivsten zu spüren bekommen. Über die letzten Jahre stieg aber auch die Anzahl der Einweisungen von Patientinnen und Patienten, die mit den Folgen des Klimawandels nicht oder nur schlecht zurechtkommen – Tendenz steigend. Somit ist es zu begrüßen, dass in der öffentlichen Diskussion beiden Themen nach wie vor hohe Priorität eingeräumt wird.

 

Es sollte zu einer Änderung im SGB V kommen, damit die durch nachhaltiges Handeln notwendig werdenden Investitionen im Gesundheitswesen getätigt werden können, so Jens Leveringhaus.

 

Das Gesundheitswesen ist für circa 5 Prozent der weltweiten CO2 Emissionen verantwortlich, mehr als die Summe aus Luft- und Schifffahrt. Vor diesem Hintergrund ist die Notwendigkeit eines nachhaltigen und umweltbewussten Wirtschaftens im Gesundheitswesen mehr als notwendig. Diese Notwendigkeit muss sich aber auch in der Gesetzgebung wiederfinden. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, allein der Name lässt auf ein weiteres „Bürokratiemonster“ schließen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch es adressiert primär die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von in Deutschland ansässigen Unternehmen, die sie innerhalb ihrer Lieferketten zu beachten haben. Es zielt somit auf den sozialen Nachhaltigkeitsgedanken und weniger auf den ökologischen ab. Deshalb sollte es zu einer Änderung im SGB V kommen, damit die durch nachhaltiges Handeln notwendig werdenden Investitionen im Gesundheitswesen auch getätigt werden können. Umweltbewusstes Wirtschaften muss belohnt und darf nicht durch höhere Kosten bestraft werden. Der NHS in Großbritannien ist hier bereits einen Schritt weiter, doch auch deutsche Kostenträger haben sich auf den Weg begeben, den Nachhaltigkeitsgedanken mit in ihre Kostenbetrachtungen und Rechenmodelle miteinzubeziehen. Es fehlt jedoch nach wie vor ein rechtlicher Rahmen.

 

Dem „Greenhouse Gas Protocol“ folgend entfallen circa 30 Prozent der Treibhausgas-Emissionen auf Bereiche, für die Gesundheitseinrichtungen selbst verantwortlich oder die leitungsgebunden sind (z. B. durch Nutzung von Strom, Gas, Dampf oder Wasser). Etwas mehr als 70 Prozent macht der Bereich der vorgelagerten Emissionen aus, die durch Produktion, Transport, Nutzung und Entsorgung von Gütern entstehen. Hier kommt den Bereichen Materialwirtschaft und Einkauf zukünftig eine besondere Rolle zu. Doch diese besondere Rolle kann das Beschaffungsmanagement nicht alleine stemmen.

 

 

Nachhaltiges Verhalten muss gelebt und vorgelebt werden

 

Nachhaltiges Verhalten muss gelebt und vorgelebt werden. Neben dem Top-down ist deshalb ein zeitgleicher Bottom-up-Prozess innerhalb von Unternehmen notwendig. Jeder einzelne Mensch ist gefordert, hier täglich einen Beitrag zu leisten – ob klein oder groß, ob beruflich oder privat. Klimaschutz beginnt im Kopf und nachhaltiges Verhalten gelingt nur durch Umdenken sowie den persönlichen Wunsch etwas verändern und selber einen Beitrag leisten zu wollen. Führungskräfte sind daher gut beraten, ihren Belegschaften niederschwellige Angebote zu unterbreiten, die es den Mitarbeitenden leichter machen, sich auf die Reise zu begeben. Dies wird sich mittel- bis langfristig auch positiv auf das innerbetriebliche Klima auswirken und sollte ebenfalls dabei helfen, junge Arbeitskräfte und neue Talente zu gewinnen. Dabei darf das große Ganze jedoch nicht aus den Augen verloren werden – es gilt das Gesundheitswesen in den nächsten Jahren klimaneutral zu stellen.

 

Dieses Bestreben kann jedoch nur im Schulterschluss von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gelingen. Wir haben nur diese eine Erde auf der wir leben; deshalb sitzen wir beim Klimawandel alle im gleichen Boot, und das sinkt zur Zeit schneller als wir denken.

 

Quelle: Health&Care Management