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Nachhaltiger Einkauf: Handlungsfelder für den Einkauf in Krankenhäusern

Das Interview führte Thomas Heine

Die Beschaffung spielt eine große Rolle im Nachhaltigkeitsmanagement einer Gesundheitseinrichtung, denn der Einkauf kann bis zu zwei Drittel der entstehenden Emissionen beeinflussen. Doch wie gelingt der Einstieg in eine nachhaltige Beschaffungsstrategie trotz komplexer Rahmenbedingungen? Im Gespräch mit Tabea Bickel, kaufmännische Controllerin und Nachhaltigkeitsmanagerin im Krankenhaus und Christoph Pelizaeus, Experte für nachhaltige Beschaffung bei der P.E.G. Einkaufs- und Betriebsgenossenschaft eG geht es darum, wie Gesundheitseinrichtungen der Einstieg in eine nachhaltige Beschaffung gelingen kann.

 

 

Nachhaltige Beschaffung ist ein viel genutzter Begriff – was bedeutet nachhaltige Beschaffung aus Sicht eines Krankenhauses und aus Sicht einer Einkaufgemeinschaft?

 

Tabea Bickel: Nachhaltige Beschaffung im Krankenhaus bedeutet für mich, neben Preis und Verfügbarkeit auch ökologische sowie soziale Aspekte in einen ganzheitlichen Beschaffungsprozess zu integrieren. Im Fokus steht die Auswahl ressourcenschonender, energieeffizienter und umweltfreundlicher Produkte, die unter fairen Arbeitsbedingungen in der gesamten Lieferkette produziert wurden. Ziel ist es, nicht nur die Qualität der Patientenversorgung langfristig zu sichern, sondern auch die Umweltbelastung unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit signifikant zu reduzieren. Die nachhaltige Beschaffung ist für eine verantwortungsvolle und zukunftsfähige Krankenhausversorgung unerlässlich.

 

Christoph Pelizaeus: Nachhaltige Beschaffung in einer Gesundheitseinrichtung heißt, bei jeder Einkaufsentscheidung über den reinen Preis hinauszudenken. Das günstigste Angebot ist nicht zwangsläufig das nachhaltigste – deshalb müssen wir Produkte und Dienstleistungen ganzheitlich betrachten: von der Herstellung über den Transport und die Nutzung bis hin zur Entsorgung. Durch die Berücksichtigung von Lebenszykluskosten, CO₂-Schattenpreisen, Gütezeichen oder einem Umweltmanagementsystem wie EMAS können wir fundiertere Entscheidungen treffen. So schaffen wir eine Beschaffungspraxis, die nicht nur wirtschaftlich tragfähig, sondern auch ökologisch sinnvoll und sozial gerecht ist.

 

 

Viele Krankenhäuser stehen beim Thema nachhaltige Beschaffung noch ganz am Anfang. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Einstiegshürden für Krankenhäuser?

 

Tabea Bickel: Die Praxis zeigt, dass die größten Einstiegshürden für Krankenhäuser bei der nachhaltigen Beschaffung oftmals die fehlenden Ressourcen sind, um Nachhaltigkeitskriterien systematisch in den Einkaufsprozess zu integrieren. Dazu gehören für mich vor allem finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen aber auch zum Teil das mangelnde Fachwissen. Es fehlen klare, einheitliche Standards und konkrete Kennzahlen, um nachhaltige Entscheidungsprozesse transparent zu treffen.

 

Christoph Pelizaeus: Aus meiner Sicht liegen die größten Einstiegshürden für eine nachhaltige Beschaffung in Krankenhäusern in der Vielzahl an parallelen Herausforderungen. Begrenzte Budgets, zunehmende regulatorische Anforderungen, Fachkräftemangel, Digitalisierung und Lieferengpässe binden viele Ressourcen. Gleichzeitig fehlt es häufig an Zeit, personellen Kapazitäten und strukturiertem Know-how, um Nachhaltigkeitskriterien gezielt in den Beschaffungsprozess zu integrieren.

 

 

Welche Rolle spielen Einkaufsgemeinschaften bei der Transformation hin zu einer nachhaltigeren Beschaffung im Gesundheitswesen?

 

Tabea Bickel: Einkaufsgemeinschaften sind für uns als Krankenhaus der zentrale Partner auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Sie bündeln Nachfrage, schaffen Zugang zu zertifizierten Produkten und unterstützen mit Fachwissen sowie einheitlichen Nachhaltigkeitsstandards. Zusätzlich fungieren sie als Schnittstelle zu Lieferanten und Herstellern, bieten praxisorientierte Unterstützung und tragen dazu bei, Nachhaltigkeit auch unter herausfordernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu realisieren.

 

Christoph Pelizaeus: Einkaufsgemeinschaften, die sich auf Nachhaltigkeitsaspekte spezialisiert haben, sind wertvolle Partner angesichts der zahlreichen Herausforderungen einer nachhaltigen Beschaffung. Sie bündeln Marktexpertise, setzen einheitliche Nachhaltigkeitsstandards und stärken durch zentrale Ausschreibungen sowie Lieferantenmanagement nachhaltige Produktlösungen. So ermöglichen sie Kliniken, Nachhaltigkeit effektiv und dauerhaft im Alltag zu verankern.

 

 

Welche praxisorientieren Schritte würden Sie Krankenhäusern zum Einstieg in die nachhaltigen Beschaffungsprozesse empfehlen?

 

Tabea Bickel: Zunächst sollten klare Ziele für eine nachhaltige Beschaffung definiert und in einer Beschaffungsleitlinie verankert werden. Der Einstieg gelingt am besten mit kleineren, gut überprüfbaren Produktkategorien wie z. B. Büroartikeln, für die es bereits gute Alternativen gibt. Weiterhin sind Schulungen für das Beschaffungsteam sowie die Zusammenarbeit mit Einkaufsgemeinschaften hilfreich. Eine kontinuierliche Erfolgskontrolle gewährleistet, dass Fortschritte nachvollziehbar sind und bei Bedarf Anpassungen vorgenommen werden können.

 

Christoph Pelizaeus: Für Krankenhäuser, die in die nachhaltige Beschaffung einsteigen möchten, ist ein strukturierter Ansatz entscheidend. Fünf Schritte haben sich in der Praxis bewährt: Erstens sollte ein ganzheitliches Nachhaltigkeitsprogramm entwickelt werden, das ökologische, soziale und ökonomische Aspekte systematisch in den Beschaffungsprozess integriert. Zweitens empfiehlt sich die Benennung von Nachhaltigkeitsbeauftragten mit einem klaren Mandat, um Maßnahmen gezielt voranzutreiben. Drittens ist eine schriftlich fixierte Beschaffungspolitik hilfreich, um Anforderungen zu standardisieren. Viertens sollten Nachhaltigkeitskriterien verbindlich in Lieferverträge aufgenommen werden – etwa über einen Lieferantenkodex. Und fünftens stellt die Förderung von Transparenz in der Lieferkette einen entscheidenden Faktor dar, um Risiken frühzeitig zu identifizieren und Verbesserungsprozesse nachhaltig anzustoßen.

 

Fazit:

Nachhaltige Beschaffung ist ein entscheidender Hebel für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung. Sie erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gesamtkosten und stärkt durch transparente Prozesse und enge Zusammenarbeit mit allen Beteiligten die Resilienz und Qualität in den Gesundheitseinrichtungen.

 

Das Interview führte Thomas Heine, Chefredakteur 

www.nachhaltige-beschaffung.com