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Nachhaltige Beschaffung im Gesundheitswesen: Interview mit Christoph Pelizaeus

Worauf Kliniken beim nachhaltigen Einkauf jetzt achten sollten

Welche Rolle spielt das Gesundheitswesen in Bezug auf den Klimawandel?

Der Klimawandel und die menschengemachten Treibhausgas-Emissionen sind in den Fokus gerückt. In Deutschland trägt das Gesundheitswesen zu 5,2 Prozent aller Emissionen bei. Besonders der Betrieb eines Krankenhauses erfordert erhebliche Mengen an Energie, Wasser, Produkten und Ressourcen. Gleichzeitig entstehen beträchtliche Mengen an Abfällen und Emissionen, die die Umwelt belasten. Krankenhäuser stehen somit vor der Herausforderung, ihre Beschaffungspraktiken nachhaltiger zu gestalten, um ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden und ökologische, soziale sowie ökonomische Aspekte in Einklang zu bringen.

Welche Chancen und Herausforderungen prägen die Beschaffung im Gesundheitswesen?

Die Herausforderungen im Gesundheitswesen sind immens, und die Ansprüche steigen stetig. Begrenzte finanzielle Ressourcen, regulatorische Anforderungen, Fachkräftemangel, Digitalisierung, Lieferengpässe und steigende Sachkosten stellen das Beschaffungsmanagement vor große Aufgaben. Auch die Integration von Nachhaltigkeitskonzepten in Gesundheitseinrichtungen erweist sich als Herausforderung. Gleichzeitig bietet sie für Fachabteilungen die Chance, ihr Wissen zu erweitern und ihre Kenntnisse einzubringen.

Warum ist nachhaltige Beschaffung so entscheidend?

Im Fokus stehen die menschengemachten Treibhausgasemissionen, die dazu motivieren sollten, sich intensiver mit nachhaltiger Beschaffung zu beschäftigen. Emissionen entlang der Lieferkette werden gemäß Greenhouse Gas Protocol in Scope 3 zusammengefasst. 71 Prozent der Emissionen des Gesundheitswesens entstehen in diesem Bereich. Zugleich werden in Deutschland fünf Prozent aller Rohstoffe für Leistungen des Gesundheitswesens verbraucht. Angesichts dieses erheblichen Emissionsanteils ist es entscheidend, das gesamte Beschaffungsmanagement verstärkt im Kontext unternehmensweiter Nachhaltigkeitsbemühungen zu betrachten.

 

Denn es ist für alle am Leistungserbringungsprozess Beteiligten ratsam, gemeinsam intelligente Beschaffungsprozesse zu organisieren. Die Heterogenität der Sachkosten im Krankenhaus, insbesondere im medizinischen Sachbedarf, stellt eine Herausforderung dar. Initiativen, Volumina zu bündeln, um Kosten zu reduzieren, zeigen auf der Nachfrageseite Erfolge. Dieses Vorgehen scheint langfristig jedoch nicht ausreichend oder zukunftsfähig zu sein. Kostengünstige Beschaffung allein führt eben nicht zwangsläufig zu gesteigerter Wirtschaftlichkeit. Es besteht die Gefahr, dass neben den gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsaspekten die Nachhaltigkeitsgedanken vernachlässigt werden.

Die Definition nachhaltiger Beschaffung ist im Internationalen Qualitätsstandard ISO 20400 verankert. Sie beinhaltet „Beschaffung, die die bestmöglichen Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft über den gesamten Lebenszyklus hat“ (ISO 20400, 2017). Darüber hinaus sind nachhaltige Beschaffungsprozesse und -entscheidungen Teil der unternehmerischen Sozialverantwortung. Dabei ist sicherzustellen, dass sie den Anforderungen der Stakeholder entsprechen und sich an der doppelten Wesentlichkeitsanalyse sowie der übergeordneten Nachhaltigkeitsstrategie orientieren.

Welche Herausforderungen bestehen bei der nachhaltigen Beschaffung?

Im Rahmen der nachhaltigen Beschaffung sehen sich Gesundheitseinrichtungen mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass das auf den ersten Blick günstigste Angebot meist nicht das wirtschaftlichste, umweltfreundlichste oder sozial gerechteste ist. Nachhaltige Beschaffung erfordert daher die ganzheitliche Betrachtung der Wertschöpfungskette und des Produktlebenszyklus, einschließlich Herstellung, Transport, Nutzung und Entsorgung. Wirtschaftlichkeit wird neu berechnet, z. B. durch die Einbeziehung von Lebenszykluskosten, CO2-Schattenpreisen, Gütezeichen oder dem Umweltmanagementsystem EMAS (Eco-Management and Audit Scheme).

Wie beeinflusst der Gesetzgeber die nachhaltige Beschaffung?

Gesetzliche Vorgaben wie das Kreislaufwirtschaftsgesetz, das Klimaschutzgesetz, die Taxonomie-Verordnung sowie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) wirken sich mittelbar auf die Beschaffung aus.

 

Unter diesen Gesichtspunkten wird die Entwicklung einer dauerhaften Beziehung zu Lieferanten künftig entscheidend sein. Der Einkauf wird sich von einer reinen Bestellinstanz zu einer strategisch denkenden Abteilung wandeln, deren Erfolg weit mehr misst als nur Preisniveau und Materialverfügbarkeit.

Warum ist ein effektives Lieferantenmanagement so wichtig?

Die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in Kunden-Lieferanten-Beziehungen verleiht dem Lieferantenmanagement eine zeitgemäße globale Dimension. Supplier Relationship Management wird als Beziehungsmanagement verstanden, das darauf abzielt, Störfaktoren im Netzwerk zu minimieren. Angesichts wirtschaftlicher Herausforderungen in Gesundheitseinrichtungen, die mit geringeren Erlösen und höheren Kosten konfrontiert sind, haben sich Modul- und Systemlieferanten als bedeutende Wertschöpfungspartner etabliert.

 

Ein effektives Lieferantenmanagement beinhaltet daher auch Nachhaltigkeitsaspekte. Eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit ist besonders in Zeiten von Lieferengpässen von Vorteil, da eine gute Lieferantenbeziehung die Chancen auf Lieferpriorität erhöht.

Wie kann die Zusammenarbeit mit strategischen Experten helfen?

Angesichts der Vielfalt der Aufgaben bei begrenzter Personalkapazität ist die Zusammenarbeit mit strategischen Experten aus dem Nachhaltigkeitsmanagement eine sinnvolle Lösung. Netzwerke im Kontext der nachhaltigen Beschaffung und Einkaufsgemeinschaften für Gesundheitseinrichtungen, die sich unter anderem auf das Nachhaltigkeitsmanagement spezialisiert haben, sind hier besonders wertvolle Partner. Einkaufsgemeinschaften können eine zentrale Rolle spielen, indem sie durch ihre Marktmacht und zentrale Verhandlungen nachhaltigere Produktentwicklungen fördern. Sie können direkt durch Lieferantenmanagement und strategische Unterstützung wirken sowie indirekt durch die Setzung von Standards und den Aufbau von Netzwerken.

Welche Schlüsselstrategien stärkt eine Organisation auf dem Weg zu einer nachhaltigen Beschaffung im Gesundheitswesen?

In einer Zeit, in der Gesundheitseinrichtungen zunehmend gefordert sind, ökonomische Effizienz mit ökologischer und sozialer Verantwortung zu verbinden, wird die Integration von Nachhaltigkeit in die Beschaffungspraxis zu einem zentralen Erfolgsfaktor. Fünf Schlüsselstrategien haben sich dabei als besonders wirksam erwiesen:

 

  1. Entwicklung eines ganzheitlichen Nachhaltigkeitsprogramms: Der erste Schritt besteht in der Etablierung eines umfassenden Programms, das ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte in allen Phasen des Beschaffungsprozesses berücksichtigt. Eine solche Strategie hilft nicht nur bei der Einhaltung gesetzlicher Anforderungen wie der CSDDD oder CSRD, sondern schafft auch die Grundlage für ein starkes Nachhaltigkeitsprofil der Organisation. Flankierend dazu ist eine systematische Marktforschung im Bereich nachhaltiger Beschaffung unerlässlich, um aktuelle Entwicklungen, Innovationen und Anbietertrends frühzeitig zu erkennen und gezielt zu integrieren.
     
  2. Ernennung engagierter Nachhaltigkeitsbeauftragter mit klar definiertem Mandat: Nachhaltigkeitsbeauftragte innerhalb der Beschaffungsabteilung treiben die Umsetzung nachhaltiger Maßnahmen gezielt voran. Mit einem klaren Mandat und entsprechenden Ressourcen ausgestattet, sorgen sie dafür, dass Nachhaltigkeit dauerhaft auf der Agenda bleibt und aktiv in Entscheidungsprozesse einfließt. Dabei profitieren sie von fundiertem Know-how über nachhaltige Anbieter sowie einem tiefen Verständnis für den Einsatz der beschafften Produkte im Behandlungsprozess – ein wesentlicher Faktor für praxisnahe und wirksame Beschaffungsentscheidungen.
     
  3. Formulierung einer soliden nachhaltigen Beschaffungspolitik: Eine klar definierte und schriftlich verankerte Nachhaltigkeitspolitik bietet Orientierung und Sicherheit im Beschaffungsalltag. Sie schafft Transparenz, definiert klare Kriterien für Lieferantenauswahl und -bewertung und unterstützt die Steuerung sowie das Monitoring nachhaltiger Leistungen. Eine enge Kommunikation mit Anwendern und Anbietern ist hierbei essenziell, um Bedarfe passgenau zu erfassen, realistische Anforderungen zu formulieren und langfristig tragfähige Lösungen zu etablieren.
     
  4. Integration eines Lieferantenkodex in vertragliche Vereinbarungen: Um verantwortungsvolle Geschäftspraktiken entlang der Lieferkette sicherzustellen, ist es essenziell, Nachhaltigkeitsanforderungen vertraglich zu fixieren. Ein verbindlicher Verhaltenskodex für Lieferanten fördert ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit und setzt klare Erwartungen hinsichtlich ethischer, ökologischer und sozialer Standards.
     
  5. Förderung von Transparenz in der Lieferkette: Transparenz ist der Schlüssel zur Identifikation von Risiken und zur kontinuierlichen Verbesserung. Systeme zur Rückverfolgbarkeit und regelmäßigen Überprüfung der Lieferkettenaktivitäten ermöglichen fundierte Entscheidungen, stärken das Vertrauen der Stakeholder und unterstützen die Einhaltung regulatorischer Vorgaben. Auch hier ist der Austausch mit Marktakteuren und die gezielte Einbindung von Fachwissen über Produktanwendungen entscheidend, um praktikable Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.

Fazit: Welche Bedeutung hat nachhaltige Beschaffung für die Zukunft?

Nachhaltige Beschaffung ist ein zentraler Hebel für die strategische Neuausrichtung im Gesundheitswesen. Sie vereint ökologische, soziale und ökonomische Verantwortung mit langfristiger Wertschöpfung. Angesichts zunehmender Komplexität erfordert sie eine ganzheitliche Betrachtung der Beschaffungsprozesse und der Behandlungskosten. Zukünftig wird es unerlässlich sein, Produkte systemisch zu bewerten – unter Berücksichtigung der Gesamtkosten, einschließlich Einkaufspreis, Anschaffung, Zweckmäßigkeit, Entsorgungskosten sowie der Aufwendungen zur Risikovermeidung und zur Nutzung von Chancen. Der Einkauf übernimmt dabei eine Schlüsselrolle: Er schafft Transparenz, ermöglicht fundierte Entscheidungen und trägt durch die enge Zusammenarbeit mit allen relevanten Akteuren aktiv zur Bewältigung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel bei – ohne Kompromisse bei Qualität und Versorgungssicherheit.

 

Das Interview wurde geführt mit Christoph Pelizaeus, Leitung Nachhaltigkeitsmanagement und Fachberatung, P.E.G. Einkaufs- und Betriebsgenossenschaft eG.

Christoph Pelizaeus
Leitung Nachhaltigkeitsmanagement und Fachberatung